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-> Vegetatives Nervensystem: Bluthochdruck, Stress
-> Reizdarm



Ein großer Bereich der vegetativ bedingten Störungen im Organismus sind Magen- und Darmstörungen, die keine organischen Ursachen haben: Blähungen, Unregelmäßigkeiten beim Stuhlgang und "Bauchgrimmen", auch bekannt unter dem Begriff "Reizdarm". Die Mediziner sprechen von 20 Prozent Betroffenen in der Bundesrepublik. Weitere 20 Prozent plagen sich mit chronischer Verstopfung.

In der neueren Forschung, der Neuro-Gastroenterologie. ordnen viele Mediziner diese Symptome einer Störung des "Bauchhirns" zu, des ente-rischen Nervensystems, das über mehr Nerven verfügt als der Kopf. Millionen von Nervenzellen - mehr als im Rückenmark vorhanden sind -umhüllen den Verdauungstrakt wie ein Netzstrumpf. Die Wissenschaftler, die sich mit der Verbindung von Nerven und Magen-Darm-Trakt beschäftigen, haben herausgefunden, dass dieses "Hirn im Leib" verblüffende Ähnlichkeiten mit dem Kopfhirn hat: Zelltypen, Wirkstoffe und Rezeptoren sind exakt gleich. Etwa 40 Nervenbotenstoffe werden dort produziert und reguliert, zum Beispiel Serotonin, das auch als das "Glückshormon" bezeichnet wird.

In den Meditationstechniken der östlichen Medizin wird in die Mitte des Körpers hinein meditiert, um Entspannung und Gelassenheit zu erreichen. Das Bauchhirn lässt uns "aus dem Bauch heraus" entscheiden und ist der Überlebensgarant für Leib und Seele - unsere Intuition, der Zeiger unseres "inneren Kompasses". Viele Menschen sind organisch völlig gesund, reagieren aber mit ihrem Bauchhirn auf alle Einflüsse, die von außen auf sie einströmen. Selbstverständlich denkt man dann zunächst, im Magen oder im Darm sei etwas defekt.

Aber in Stresssituationen reagiert das Vegetativum mit seinem aktiven Part, dem Sympathikus, und stellt alles im Organismus auf "Angriff" ein. Auf den Magen-Darm-Trakt bezogen kann das eine Hemmung der Darmbewegungen und der Drüsentätigkeit bedeuten, das heißt, die komplizierte Verdauungstätigkeit wird unterbrochen oder ausgesetzt, je nachdem, wie lange diese Anspannungssituation anhält.

Dieses Bauchhirn arbeitet, wie unser gesamtes Vegetativum, auch unabhängig von unserem Willen, denn wir können ja nicht jedes Mal überlegen, wie wir verdauungstechnisch auf Außeneinflüsse reagieren wollen. Es sendet entsprechend auch mehr Informationen zum Kopfhirn als umgekehrt. Das Bauchhirn kann aber auch eigenständig erkranken und eigene Neurosen entwickeln: Es fühlt, denkt mit und erinnert sich. Neueste Forschungen haben ergeben, dass psychische Prozesse eng mit dem Verdauungssystem gekoppelt sind. Menschen mit einem Reizdarm-Syndrom reagieren mit dem Bauchhirn übersensibel auf alle negativen Einflüsse von außen. Gefühle wie Wut, Aggression, Angst oder psychische Belastungen machen sich über das Bauchhirn im Dünndarm bemerkbar: Man "hat Wut im Bauch", "könnte platzen vor Wut", man "fühlt sich im Innersten getroffen", es ist einem etwas "auf den Magen geschlagen", man "macht sich vor Angst in die Hose".

Wenn unsere Zentrale im Kopf bewusst oder unbewusst eine zu hohe psychische oder vegetative Belastung registriert, werden die Nervenzellen und auch die Immunzellen im Darm aktiviert. Sie schütten dann unter anderem Histamin aus, das Hormon, das Entzündungsprozesse und allergische Reaktionen fördert. Krämpfe oder Durchfälle können die Folge sein. Diese aufwühlende "Alarmstimmung" im Darm wird wiederum an die Zentrale zurückgesendet, und die Kommunikation läuft von nun an hin und her. Je nachdem, wie lange diese Anspannungssituation anhält, kann daraus eine längerfristige Störung werden, die sich sozusagen organisch verselbstständigt und in einer chronischen Erkrankung endet.

Die Forscher sind sich mittlerweile einig, dass es eine "Emotions-Gedächtnisbank" im Kopfhirn gibt, die alle vom Bauchhirn an die Zentrale gesendeten Reaktionen auf erlebte Situationen und Gefühle speichert. Jedes Mal, wenn der Mensch wieder in solch eine Situation kommt, wird die gespeicherte Reaktion abgerufen, und wir verhalten uns wieder so wie in der schon erlebten Situation - ohne dass unser Bewusstsein eingeschaltet wird.

Es wird erforscht, ob Säuglinge, die unter Koliken leiden, eventuell zu Erwachsenen mit einer Neigung zum Reizdarm heranwachsen, denn körperliche Reaktionen in den frühen Lebensabschnitten werden auch schon in dieses "Emotionsgedächtnis" übernommen. Das Bauchhirn lernt in jungen Jahren am besten, es reift wie das Kopfhirn nach der Geburt weiter. Vor allem Furcht oder Angst hinterlassen im Bauchhirn ihre Spuren. 40 Prozent der Erwachsenen mit einem Reizdarm geben an, unter Ängsten zu leiden.

Unser Vegetativum, das unwillkürliche Nervensystem, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung also als ein ganz wichtiger Teil unseres inneren Kompasses: Es ist wie eine Art Aufpass-System immer für uns da, wenn wir Einflüssen von innen oder außen, für uns bewusst oder unbewusst, ausgesetzt sind, die von unserem körpereigenen Regulations- und Kompensationssystem nicht mehr ausgeglichen werden können.

Wenn wir erkennen, mit welchen Zeichen das Vegetativum uns auf eine beginnende Störung hinweisen will, wenn wir wissen, was sie bedeuten, können wir versuchen auszugleichen.


 


     


Es muss eine Stunde am Tag geben, wo der Mensch, der zu reden hat, verstummt.

Es muss eine Stunde geben, wo der Mann der Entschlüsse seine Entschlüsse beiseite schiebt, als wären sie alle zerronnen, und wo er eine neue Weisheit lernt: die Sonne vom Mond zu unterscheiden, das Meer vom festen Land und den Nachthimmel von der Wölbung eines Hügels.
 
Thomas Merton
(1915 - 1968)